Praktikum im Seniorenheim

„Schön, dass ihr mich besuchen kommt!“, rief uns Frau Wolf schon von weitem zu, als wir sie wieder einmal besuchten. Und schon waren wir mitten im Gespräch: „Kinder, was macht die Schule?“ wollte sie wissen und wir erzählten von Sozialwesen, Mathe, Erdkunde und unserem Alzheimer-Projekt. Das taten wir dann an diesem Nachmittag noch mehrmals, denn Frau Wolf war vergesslich – sie hat Alzheimer.

Zum wiederholten Mal hörten wir uns die Geschichte von der Flucht vor den russischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg an, die Frau Wolf jedes Mal sehr aufwühlte und zum Weinen brachte. Wenn Pfleger Martin zur Tür hereinkam, sah Frau Wolf in ihm ihren längst toten Mann, der ebenfalls Martin hieß. Mit ihren seltsamen Gewohnheiten mussten wir uns erst vertraut machen. Zum Beispiel bestand sie bei jeder Mahlzeit auf einen zweiten Stuhl und ein zusätzliches Gedeck für ihren verstorbenen Mann. Auch bei Fernsehabenden musste immer ein Platz für Herrn Wolf frei gehalten werden.

Zehn Tassen Kaffee

Frau Wolf war eine unserer „Lieblings-Senioren“, wir lernten sie während unseres Praktikums im Seniorenheim kennen und besuchten sie auch in der Zeit danach noch öfter. Als ihr Mann vor fünf Jahren starb, konnte man erste Anzeichen von Alzheimer bei ihr erkennen. Kurze Zeit später war der Alltag zu Hause nicht mehr möglich: Sie vergaß zu essen, zu trinken oder die Toilette zu besuchen. Es ist auch schon vorgekommen, dass sie statt der gewohnten zwei Tassen Kaffee zehn Tassen getrunken hat. Zu dieser Zeit war die 71-jährige Frau Wolf körperlich jedoch noch fit und wir konnten mit Frau Wolf und ihrem Rollator im Park spazieren gehen.

Die Situation änderte sich nach einem Schlaganfall abrupt. Frau Wolf war danach ans Bett gefesselt, ihr Blick war nur noch starr an die Decke gerichtet. Wir besuchten sie weiterhin, da wir spüren konnten, wie gut ihr unsere Nähe tat. Bis uns eines Tages die Nachricht erreichte, dass sie in der Nacht gestorben war. Der Tod war wohl eine Erlösung für sie. Doch wir dachten noch öfter an Frau Wolf und ihren Martin – und vermissten sie.

Caroline Auer und Vroni Öfner, 9. Klasse der St.-Irmengard-Realschule Garmisch-Partenkirchen

Die Schülerinnen absolvierten ein Praktikum im Seniorenheim und besuchten dieses auch später noch regelmäßig.